Legenden um die Tabakfabrik Stahf

Georg Rauschenbach

 

Legenden um die Tabakfabrik Stahf

 

Die am 6 Dezember 1828 gegründete Tabakfabrik Stahf ist eines der bekanntesten Unternehmen „deutscher Abstammung“ in Saratow. Sie wechselte zwar mehrmals den Eigentümer, aber nicht ihre Bestimmung und besteht bis heuer. Es gibt mehrere Versionen der Geschichte der Entstehung der Fabrik; einige dieser Versionen enthalten mythische Elemente.

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In der russischen Wikipedia und Wikiwand (http://ru.rfwiki.org/wiki/БАТ-СТФ) wird folgende Geschichte erzählt:

„Die Brüder Kondratij und Michail Stahf gründeten 1828 in Saratow eine Tabakfabrik. Die Fabrik war ursprünglich auf die Befriedigung der Bedürfnisse des in Saratow stationierten Husaren-Regiments ausgerichtet. Deswegen waren die produzierten Tabakwaren teuer und von guter Qualität. Aber nach ein paar Jahren wurde das Husaren-Regiment einfach verlegt und die Fabrik bekam Probleme mit dem Absatz ihrer Waren. Für die teuren Produkte der Fabrik gab es keine Nachfrage bei der örtlichen Bevölkerung. Das Problem wurde durch die Verwendung von lokalen Rohstoffen gelöste. Anfang des 19 Jh. gab es an der Wolga keinen solchen Zweig der Landwirtschaft wie den Tabakanbau. Die Brüder Stahf wurden de facto zu Pionieren des Tabakanbaus: anfänglich wurde Tabak auf einem kleinem Feld angebaut. Im Laufe mehrerer Jahre wuchs die Menge des Saatguts und es konnte eine kleine Tabakplantage angelegte werden. Das Wolgaland konnte schon Mitte der 1830-er Jahre voll die Bedürfnisse der lokalen Tabakindustrie an Rohstoffen decken."

Die Pionierrolle von Konrad (Kondratij) und Michael (Michail) Stahf im Tabakanbau an der Wolga wurde hier jedoch, gelinde gesagt, übertrieben dargestellt. In Wirklichkeit entwickelte sich der Tabakanbaus seit 1768. Es reicht als Referenz den Artikel ТАБАКОВОДСТВО В НЕМЕЦКИХ КОЛОНИЯХ НИЖНЕГО ПОВОЛЖЬЯ XVIII-XX ВВ. [Tabakanbau in den deutschen Kolonien im unteren Wolgagebiet im 18-19 Jh.] heranzuziehen (http://wolgadeutsche.net/sarepta/tabakowodstwo.pdf):

„Der Tabakanbau erlebte Anfang des 19 Jh. einen neuen Aufschwung, es wurden von 40 Tausend bis 77.689 Pud [russisches Gewichtsmaß, 1 Pud = 40 Pfund (russisch) = 16,36 Kilogramm] und mehr Tabak geerntet. Tabak wurde auf 6 Tausend Dessjatinen [russisches Flächenmaß, 1 Dessjatine = 10.925,3975 m² ≈ 1,1 ha] angebaut. 1825 wurden 126.654 Pud für 260.485 Rubel verkauft, 1827 verkauften die Kolonisten 166.723 Pud Tabak für 300.759 Rubel.“

Dieser Behauptung, der Legende Nr.1 werden wir jedoch noch in anderen Quellen begegnen.

A. Dmitrijew und A. Markow stellen auf der Site Tobacco-Review diese Geschichte ausführlicher dar (А.Дмитриев, А.Марков. На Волге широкой…http://www.tobaccoreview.com/tr.cgi?art=0510a15%5E):

„… Kondratij Stahf, der Enkel eines deutschen Kolonisten, die auf Einladung Katharina II in das Wolga-Gebiet einwanderten, gründete die erste Tabakfabrik in Saratow. Man könnte sagen, dass in gewisser Hinsicht seine Großmutter indirekt dafür die Grundlagen legte. Sie verwitwete früh und als sie nicht mehr dem für deutsche Kolonisten typischen Gewerbe – dem Getreideanbau nachgehen konnte, eröffnete sie einen eigenen Laden. 1807 wandelte ihr Sohn Nikolaj den Laden in das erste Kolonialwarengeschäft in der Stadt um, wo mit Tee, Zucker, teuren Weinsorten, Tabak, d.h. mit allem was die Saratower Einwohner zuvor in den Hauptstädten [Moskau, St. Petersburg] bestellen mussten, gehandelt wurde. Nikolajs ältester Sohn Kondratij verlegte 1818 den Kolonialwarenhandel in das Haus seiner Ehefrau Ecke Moskauer Straße (Московская улица) / Kathedralstraße (Соборная улица), wo später die Tabakfabrik eröffnet wurde. Kondratij Stahf trat im selben Jahr in den Saratower Kaufmannsstand ein. Die Umstände rund um die Gründung der Tabakfabrik sind interessant und entbehren auf ihre Weise nicht einer gewissen Dramatik. 1820 wurde nach Saratow ein Husaren-Regiment verlegt. Als bewanderte Konsumenten stellten die Husaren an die lokalen Läden schwer erfüllbare Anforderungen. Es gab eine besonders hohe Nachfrage nach teurem Tabak und Zigarren, deren Lieferung aus fernen Ländern eine teure und komplizierte Sache war, denn der damalige Verkehr ließ vieles zu wünschen übrig. Daraufhin beschlossen Kondratij Stahf und sein Bruder Michael eine eigene Fabrik zu gründen. Sie fuhren nach Petersburg, machten sich mit der Produktion von Tabakwaren vertraut, fanden einen Meister, kauften Tabakschneidemaschinen und bestellten nach Saratow eine gewisse Menge der amerikanischen Tabaksorte‚Wakstaw [вакштав]‘“.

In diesem Teil des Berichtes können wir auf eine Reihe interessanter Details hinweisen: die Witwe, die in Saratow einen Laden eröffnete, den ihr Sohn Nikolaus Stahf 1807 in ein Kolonialwarengeschäft umwandelt; der Enkel Konrad, der als Mitgift das Haus an der Ecke Moskauer Straße – Kathedralstraße erhielt, sich 1818 in den Saratower Kaufmannsstand eintragen ließ und zehn Jahre später eine Fabrik in demselben Hause eröffnete. Bis zu diesem Moment ruft die Erzählung kaum Zweifel hervor, außer dass es keine amerikanische Tabaksorte „Wakstaw“ gab: unter diesem Namen wurde die Erzeugnisse des englischen Tabakfabrikanten Wagstaff geliefert (vgl. http://ru-etymology.livejournal.com/1378629.html). Etwas Erstaunen ruft die Geschäftstüchtigkeit der Witwe Maria Stahf, einer Kolonistin aus dem Dorf Boregard hervor, die in Saratow einen Laden eröffnen konnte, hervor. Da Maria Stahf in der Volkszählung von 1798 schon nicht mehr vorkommt, muss geschlussfolgert  werden, dass der Laden in Saratow nicht später als in den 1790-er Jahr eröffnet wurde. Hören wir uns jedoch den weiteren Bericht an:

„Die Fabrik wurde am 6. Dezember 1828 eröffnet. Aber welch Ungemach: zum großen Verdruss der Brüder kam es gleich darauf zu einem Umstand, der die ganze Sache hätte fast zu Grunde richten können: das Husaren-Regiment verließ unversehens Saratow. Dementsprechend verlor das Unternehmen seine Hauptabnehmer. Es half der Zufall. Den Saratower Gouverneur Fürst Golizyn besuchte sein Bruder, der damals als russischer Botschafter in den Vereinigten Staaten diente. Nach einem Besuch in der Fabrik Stahf empfahl er deren Eigentümer, den Tabak „vor Ort“ anzubauen und versprach, Saatgut zu schicken, was er nach seiner Rückkehr nach Philadelphia auch tat. Herr Golizyn schickte zwar wenig Saatgut, aber Stahf legte die Hände nicht in den Schoß, sondern folgte dem Beispiel von Robinson Crusoe und pflanzte die Samen in Blumentöpfen. Die gute Pflege brachte eine reiche Ernte. Das dauerte so zwei Jahre, danach wurde das Saatgut, das schon für eine Aussaat im Feld ausreichte, im Trans-Wolga-Gebiet ausgesät. Die Fabrik hatte danach ausreichend Rohstoff. So wurde die Grundlagen des Tabakanbaus im Süd-Osten Russlands gelegt.“

Hier wird Legende Nr.1, ergänzt mit bemerkenswerten Details – dem Saratower Gouverneur Fürst Golizyn1, sowie seinem Bruder, auch ein Golizyn, dem Botschafter in den Vereinigten Staaten, einem Paket mit Saatgut aus dem fernen Amerika, wiederholt. Unverständlich bleibt nur, warum gerade der Abzug der Husaren und nicht deren Ankunft Stahf veranlasste, Tabak anzubauen und wie die Fabrik mehrere Jahre ohne Rohstoff auskam. Aber dies ist wohl meinerseits Nörgelei.

Der unbekannte Autor der Site «В отпуск» [In den Urlaub] ergänzte das Bild um Einzelheiten:

„Die erste Erwähnung der Fabrik fällt auf das Jahr 1828 als der Nachfahre der deutschen Kolonisten Kondratij Stahf das Tabakgeschäft in Petersburg kennenlernt und die ersten Produktionsmaschinen ankaufte. Die ersten Tabaksamen der Sorten „Virginia“ und „Maryland“, kamen in das Trans-Wolga-Gebiet mit der leichten Hand des Fürsten S.B. Golizyn, des damaligen Botschafters Russlands in den Vereinigten Staaten. Die ersten Konsumenten des im Gouvernement angebauten teuren und hochwertigen Tabaks waren Angehörige des in Saratow stationierten Husaren-Regiments“ (http://www.votpusk.ru/country/dostoprim_info.asp?ID=9043#ixzz41eX3GzsX).

Der Name des Botschafters wurde hier um die Anfangsbuchstaben des Vor- und Vaternamen ergänzt, die Tabaksorten werden korrekt genannt. Die Legende Nr. 1 wird von der Feder eines weiteren Schriftstellers ergänzt. Es sieht jedoch eher aus, dass wir hier die Legende Nr. 2 antreffen. In der uns interessierenden Zeitspanne, genauer um 1828-1837, war Botschafter in den Vereinigten Staaten Freiherr Paul Alexander von Krüdener [барон Павел Алексеевич Криденер], wobei sich allerdings die Botschaft in Washington befand: https://de.wikipedia.org/wiki/Paul_Alexander_von_Krüdener.

Golizyns kamen des öfteren unter den Diplomaten des Russischen Reichs vor, aber nicht im 19 Jh. und gerade nicht in Amerika. War der Fürst vielleicht zweitrangiger Botschaftsangehöriger, über den ein Dilettant schwer Informationen finden kann? Was wissen wir überhaupt über Fürst S.B. Golizyn? Nichts. Unter den Brüdern des Fürsten Alexander Borissowitsch Golizyn, des Saratower Gouverneur in den Jahren1826-1830, hatte kein einziger solche Anfangsbuchstaben des Vor- und Vaternamen. Weder der ältere Bruder des Gouverneurs Andrej Borissowitsch Golizyn, Flügel-Adjutant und bekannter Freimaurers, noch sein jüngere Bruder, der Cellist und Komponist Nikolaj Borissowitsch, dem Beethovens „Golizyn-Quartette“ gewidmet waren (https://de.wikipedia.org/wiki/Nikolai_Borissowitsch_Golizyn), sind im diplomatischen Dienst und auf Überseereisen beobachtet worden.

Wir wollen noch auf ein weiteren Leitmotiv aller Geschichten hinweisen: die Fabrik wird wegen dem Husaren-Regiment gegründet, aber das Regiment verlässt plötzlich Saratow und die Gebrüder Stahf befinden sich daraufhin in einer Zwangslage. Das ist die Legende Nr. 3. In Wirklichkeit, wie der Historiker I.N. Pleschakow [И.Н. Плешаков] berichtet, traf das Irkutsker Husaren-Regiment im November 1821 in Saratow ein und verließ die Stadt nach 5 Jahren im November 1826 (http://magazines.russ.ru/volga21/2008/1/pl17.html). Die Ankunft vieler Dutzenden glänzender Offiziere in der Stadt und ihrem Umland förderte in der Tat Konrad Stahfs Handel: Wein, Tabak und sonstige Kolonialwaren konnten schnell verkauft werden. Auf die Gründung der Fabrik in zwei Jahren konnte der Abzug der Husaren jedoch keinen unmittelbaren Einfluss gehabt haben.

Und sehen wir uns jetzt an, was dazu die Überlieferung der Familie, die uns über Edgar Stahf (den Enkel von Michael Stahf) erreichte und sich im Archiv seines Sohnes, des Journalisten, Film- und Fernsehregisseurs und Kameramanns Jürgen Stahf befindet, berichtet:

 «…Bald starb Hanpeter und nun waren Malche seine Witwe und Sohn Nikolaus auf sich angewiesen, was in dieser kargen Umgebung zu großer Not führte. Da kam  die tüchtige Maria Amalia, so ist wohl ihr ganzer Name,  auf den Gedanken  in Katharinenstadt einen Laden einzurichten und darin all das zu führen, was die Bauern brauchten. Das war ein sehr guter Gedanke, denn bislang mussten die Bauern alle Geräte und Werkzeuge aus dem entfernten Saratow oder aus Samara holen. Die Bauern nahmen diese günstige Belieferung dankbar an und als Nikolaus herangewachsen war,  konnte er selbst die Waren ausliefern und tüchtig mitarbeiten. Der Laden lag ganz am  Ende von  Katharinenstadt, denn im Zentrum waren die Hauspreise  viel zu hoch für  Amalia und ihren Sohn.

Aber dann kam für beide die Wende: Eines Winterabends, als es sehr stürmte und sich keiner aus dem Haus traute, klopfte es an der Haustür.  Das Haus in dem Malche und ihr Sohn Nikolaus wohnten war das letzte Haus einer Straße in Katharinenstadt. Malche nahm gleich an, dass sich jemand in der eisigen Sturmnacht verirrt haben musste, denn es gab zu jener Zeit noch nicht den Erlass bei Schneesturm nachts die Kirchenglocken zu läuten um verirrten Reisenden und ihren Kutschern eine akustische Orientierung zu ermöglichen. Und wie Amalia die Tür öffnete, und der Sturmwind dabei viel Schnee in die Stube wirbelte, traten drei hohe russische Offiziere herein und ein ganz in Lammfell gehüllter Kutscher.  Dann stellten sich die Männer vor, es waren der Generalgouverneur vom Saratower Gebiet und der Kirgisensteppe, der sich mit seinem Tross im Schneesturm verirrt hatte. Dabei waren sein Adjutant und der Kommandant von Saratow. Der Generalgouverneur war Fürst Golyzin. Amalia machte sofort den Samowar an  und bald konnten sich die Herren am heißen Tee aufwärmen. Ebenso richtete sie auch ein Nachtmahl für die Reisenden her. Als der Fürst in der warmen Stube allmählich auftaute, ließ er sich von Malche ihr Schicksal erzählen und sie berichtete alles von Anfang an, über die Auswanderung die Entbehrungen und die Nöte und Mängel ihrer Landsleute. Das hörte sich der Fürst mit großem Interesse an und fragte auch nach allem was die Bauern jetzt dort anbauen würden. Dabei erfuhr er auch über die Hungersnöte, wenn die Ernten schlecht ausfielen. Da meinte er es müsse doch Tabak gut gedeihen auf diesen Steppenböden, dann brauchte Russland diesen nicht einzuführen. Dann meinte der Fürst „liebe Frau, das mit dem Tabak habe ich nicht so dahingeplaudert, ich meine es erst.“ Dann erwähnte er, dass er alsbald als Gesandter nach Amerika beordert werden würde, dort könne er sich um Pflanzen und deren Anbaumethoden kümmern und dann wieder von sich hören lassen. Amalia, die schon viele Versprechen vernommen hatte, schenkte auch diesem keinen Glauben. Aber ein Jahr später kam eines Tages ein Kurier des Zaren mit seiner Troika vorgefahren und  brachte ein Paket, für das Malche unterschreiben musste. Neben etlichen Tabaksamen enthielt das Paket auch eine genaue Beschreibung, wie der Samen zu pflanzen und zu bearbeiten sei. Amalia gab den Samen an die zuverlässigsten Bauern, machte mit ihnen Verträge und schon nach wenigen Jahren blühte eine ertragreiche Tabakwirtschaft. Sie brachte der Wolgakolonie den Ausgleich zu den immer wiederkehrenden Missernten beim Getreide. Nikolaus, der Sohn von Hanpeter und Malche, wuchs zu einem tüchtigen Bauern und Kaufmann heran, der es zu großem Ansehen in der Kolonie brachte».

In ihrer künstlerischen Ausdruckskraft lässt diese Geschichte alle früheren hinter sich, aber sie hat jedoch fast nichts mit der Realität gemein. Hier stimmt vorne und hinten nichts. An die Legende Nr. 1 haben wir uns schon gewöhnt, aber was tun mit der Chronologie! Ausgehend von Nikolaus‘ Kindesalter (geb. am 13.03.1765), spielte sich die Handlung in den 1770er Jahre ab, der zukünftige Gouverneur wurde jedoch 1794 geboren…

Besonders bemerkenswert ist, dass Urheberin dieser Geschichte Anna Elisabeth Stahf (1821-1905), geborene Asmus, die Frau des Fabrikgründers Michael Stahf war. Allem Anschein nach wurde die Geschichte den kleinen Kindern der Stahf-Familie an den langen und unwirtlichen Winterabenden erzählt. Sie enthält in der vollen Version die gesamte Aufzählung der Abenteuer und Nöte der deutschen Kolonisten: es gibt hier die stürmische Meeresüberfahrt, den langen Weg bis an die Wolga, das Leben in Erdhütten, die Mordinsel, die Kirgisenüberfälle u.v.a. mehr. In den 30er Jahren des 19 Jh. wurden die Erinnerungen der Pioniere, ein ausgezeichneter Stoff für einen guten Erzähler, veröffentlicht.

Welche Gemeinsamkeiten haben alle diese Geschichten? Da es immerhin kein Rauch ohne Feuer gibt, werden wir versuchen, das Material zu durchsieben und die Spreu vom Weizen trennen. Wir erhalten dann die früh verwitwete Maria Stahf und ihren Laden, das Saratower Kolonialwarengeschäft von Nikolaus Stahf, den Kaufmann Konrad Stahf, das Haus Ecke Moskauer Straße/ Kathedralstrasse, die Husaren, die Golizyns und natürlich die Fabrik selbst. Und die Tabakzüchter Stahf, entweder Maria Amalia oder Konrad, die amerikanisches Saatgut anbauten. Es bliebt jedoch die Frage nach den durch das Internet geisternden Einzelheiten über die Gründung der Fabrik? Und es sollte doch irgendeine Primärquelle geben?

Sie zu finden gelang es uns mit der Hilfe von I.N. Pleschakow. Es handelt sich um die Broschüre «Страничка из истории промышленности юго-восточной России. Табачная фабрика А.К. Штаф в Саратове» [Ein Fragment aus der Industriegeschichte von Süd-Ost-Russland. Die Tabakfabrik A.K. Stahf in Saratow. Saratow, 1896]. Ein Exemplar dieses Textes konnte in der Russischen Staatsbibliothek gefunden werden, der neugierige Leser kann die Broschüre unten, in der Anlage zu diesem Artikel, kennenlernen. Autor der Broschüre war vermutlich Konrad (Kondratij Aleksandrowitsch) (1871-1925), Enkelsohn des Fabrikgründers.

Die Darstellung der Ereignisse der frühen Familiengeschichte enthält einige Ungenauigkeiten in den Daten, was auch nicht weiter erstaunlich ist, da der Autor, der sich nur auf die im Familienarchiv erhaltenen Dokumente und Überlieferungen stützte, keinen Zugang zum ersten Band der „Einwanderung in das Wolgagebiet“ und anderen in unserer Zeit erschienenen Büchern hatte. Diese Ungenauigkeiten ändern jedoch nichts am Kern der Sache. Der Autor nennt die Gattin des Pioniers Peter Amalia, obwohl in den erhaltenen Dokumenten, der Kuhlberg-Liste der 14 Fahrt (Bark «George»), sie als Anna eingetragen wurde. Womöglich lautete ihr zweiter oder dritter Name Amalia, darauf weist auch die Erzählung von Anna Elisabeth Stahf hin. Als sie 1771 verwitwete, eröffnete sie mit den von ihrem Mann übrig gebliebenen Ersparnissen einen Laden für die Einwohner ihres Dorfes. Der Autor nennt den Standort nicht, aber es war gewiss nicht Saratow und nicht einmal Katharinenstadt; nehmen wir an, dass es Boregard war. Es wird berichtet, dass Nikolaus mit Familie nach Katharinenstadt umzog, seine Mutter wurde dabei schon nicht mehr erwähnt. Nikolaus, der die Lektionen seiner Mutter gut gelernt hatte, fügte zum Handel mit Waren des täglichen Bedarfs (darunter auch mit „russischem Tabak“) Getreidehandel hinzu und knüpfte Geschäftsbeziehungen mit Nischnij Nowgorod, Rybinsk und Moskau. Anfang des 19 Jh. fährt er nach Petersburg, sieht dort Kolonialwarengeschäfte und beschließt, das erste solche Geschäft mit Weinkeller in Saratow zu eröffnen. Es befand in Haus von Rogatschow in der Moskauer Straße. Parallel dazu erweiterte er mit Hilfe der herangewachsenen Söhne den Tabakhandel (sic!) und den Getreidehandel. Konrad (Kondratij) heiratete 1818 Ekaterina Kaiser, deren Vater das Haus Ecke Moskauer Straße / Kathedralstraße gehörte.

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Konrad Stahfs Haus vor der Revolution....

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... und in unserer Zeit (beide Fotos von der Site www.oldsaratow.ru).

Das Haus gehörte anscheinend zur Mitgift der Braut, da Konrad umgehend sein Geschäft dorthin verlegte (offensichtlich mit Zustimmung seines Vaters). Konrad lässt sich im gleichen Jahr in die Saratower Kaufmannschaft eintragen; in den im Staatlichen Archiv des Saratower Gebiets aufbewahrten mehrjährigen Listen der Saratower Kaufmannschaft finden wir Kondrat Nikolaewitsch Stahf unter den Kaufleuten der Zweiten Gilde. Der Umsatz des Geschäfts war zu Anfang äußerst bescheiden und definitiv nicht die wichtigste Quelle des Stahf‘chen Wohlstands. Später jedoch kamen die Husaren, die die Vorräte aufkauften und besonders teure Weine und Tabakwaren verlangten. Wegen der langsamen Anlieferung der Waren waren die Kunden unzufrieden und die Brüder Stahf, die 1828 das väterliche Unternehmen erbten, beschlossen, eine Tabakfabrik zu gründen, um die Tabakwaren vor Ort herzustellen. Sie fanden einen Meister in Petersburg, kauften Tabakschneidemaschinen der Fabrik Lindenau, bestellten eine Lieferung Wagstaff-Tabak und eröffneten am 6. Dezember 1828 die Fabrik im Keller des besagten Hauses Ecke Moskauer Straße / Kathedralstraße. Michael entwickelte in der Folgezeit den vom Vater übernommenen Getreidehandel, während Konrad sich auf die Verwaltung der Tabakfabrik und des Geschäftes konzentrierte.

Das Husaren-Regiment verlässt jedoch Saratow und das Geschäft verliert seine VIP-Kundschaft. Die Brüder sind ratlos und wissen nicht, was sie mit der Fabrik machen sollen, plötzlich jedoch kommt ein glücklicher Zufall zu Hilfe: 1829 besucht den Gouverneur dessen Bruder S.B. Golizyn, der russische Botschafter in den Vereinigten Staaten von Nordamerika. Die Brüder Stahf lernte er als Kunde kennen, erfährt von der Notlage der Fabrik und zeigt einen Ausweg: Tabak vor Ort anzubauen. Er verspricht den Brüdern, nach seiner Rückkehr nach Nordamerika eine Ladung amerikanisches Tabaksaatgut aus Philadelphia zu schicken. Im nächsten Jahr 1830 erhielten die Brüder über die Kaiserliche Moskauer Landwirtschaftliche Gesellschaft (MLWG) Tabaksamen der Sorten Maryland und Virginia. Die Menge des Saatgut war sehr gering, aber Kondratij-Konrad pflanzte sie in Blumentöpfen, erntete, säte wieder aus und 1832 gab es schon genügend Samen für die Aussaat auf mehreren kleinen Feldplantagen. So, schreibt der Autor, wurde der Anfang für den Anbau dieser Tabaksorten (mein Kursiv, G.R.) im Gouvernement Samara gelegt. Berichten zufolge lieferten 1834 die Plantagen im Gouvernement Samara 4787 Pud Tabak an die Tabakfabrik. Nach dem Hinweis auf Kondratijs Verdienste beim Anbau von nur zwei Tabaksorten, schreibt der Autor schon auf der nächsten Seite: „K. Stahf legte auf solche Weise die Grundlage für den Tabakanbau in unserer südöstlichen Region“ (S. 17).

Die Quelle der Legende Nr. 1 ist also gefunden: sie wurde durch einen unvorsichtigen Satz geboren, der sich im offensichtlichen Widerspruch zu allen vorherigen Erzählungen befindet. Überraschend ist die Menge der Ernte von 1834: dafür mussten ca. 50 Dessjatinen mit Saatgut, das von „einigen kleinen Feldplantagen geerntet wurde“ (der durchschnittliche Tabakertrag lag bei 100 Pud von einer Dessjatine), besäht werden.

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Wie wir sehen, entsprang die Legende Nr. 3 aus der gleichen Quelle. Es ist verständlich, dass der Enkel von Kondratij Nikolaejewitsch, der nach einem halben Jahrhundert nach dem „Husaren-Boom“ geboren wurde, einiges hatte durcheinander bringen können. Die Erzählungen über die glänzenden Husaren blieben im Gedächtnis haften, der Rest wurde ein kleines bisschen erfunden. Versuchen wir, uns an die Stelle seines Großvaters zu versetzen: konnte denn ein erfolgreicher, erfahrener Kaufmann wirklich so naiv sein und eine Fabrik wegen ein paar Dutzend Kunden gründen, die eine Marschorder jeden Augenblick aus Saratow sonst wohin hätte schicken können. Nicht minder naiv wirken die Brüder Stahf in der Erzählung über das Jahr 1829: ohne den geheimnisvollen Fürsten S.B. Golizyn seien sie nicht darauf gekommen, dass Tabak „vor Ort“ kultiviert werden kann, obwohl sie selber mit im Wolgagebiet gezüchteten Tabak handelten.

Apropos zum Fürsten und der Legende Nr. 2. Über den russischen Botschafter in den Vereinigten Staaten von Nordamerika schrieben wir oben, über A.B. Golizyns Brüder auch. Wer war also 1829 beim Saratower Gouverneur, wer schickte aus dem fernen Amerika das Saatgut? Bevor wir nach Antworten auf diese Fragen suchen, möchte ich die Aufmerksamkeit der Leser auf die Tatsache richten, dass die Brüder die Samen nicht über einen mit einem „Troika“-Pferdedreigespann anreisenden Kurier des Zaren und nicht mit Postsendung aus Amerika, sondern „über die Moskauer Landwirtschaftliche Gesellschaft“ erhielten. Vorsitzender dieser Gesellschaft war damals Fürst D.V. Golizyn, der militärische General-Gouverneur von Moskau.

* * *

Im Zentralen Staatlichen Archiv der Stadt Moskau werden Dokumente der Kaiserlichen Moskauer Landwirtschaftlichen Gesellschaft aufbewahrt (фонд [Bestand] 419). Darunter befindet sich die „Akte über die Bestellung von Tabaksamen aus Amerika und die Zustellung jener an Landwirte, die Tabak in den südlichen Gouvernements Russlands anbauen“ [Дело о выписке из Америки табачных семян и доставлении оных к хозяевам, занимающимся возделыванием табаку в полуденных губерниях России] (д. [Akte] 126). Gleich zu Anfang sehen wir eine Tabelle des Samenversandes in den Jahren 1828-1829, die dritte Eintragung lautet: „Nach Saratow, an den Zivilgouverneur Fürst Golizyn für die Saratower Kolonien und Sarepta“. Woher kamen nun die Samen und welches Schicksal erwartete sie im Gouvernement Saratow?

Aus dem in der in der Akte erhaltene Briefwechsel ergibt folgendes Bild. Eine Schlüsselfigur beim Erwerb der Samen war der Erzpriester Jakow Smirnow, der sich damals in London aufhielt und vermutlich zum Personal der Russischen Botschaft gehörte. Mitte 1827 wandte sich jemand aus der Leitung der MLWG an ihn mit der Bitte um Unterstützung (warum gerade an ihn? Vielleicht auf Grund einer privaten Bekanntschaft?) und Vater Erzpriester schaltete seinen Sohn Iwan Smirnow, einen Botschaftssekretär ein, der an den russischen Geschäftsträger in Washington Freiherr von Maltitz [1] schrieb. Das war am 9. Juli 1827. Freundlich entgegenkommend erklärte sich der Freiherr bereit, zu helfen. Die Sache war sich jedoch nicht so einfach, denn die Tabak-Pflanzer behielten keine überschüssigen Samen und handelten nicht mit Saatgut. Den russischen Diplomaten gelang es dann doch dank ihrer persönliche Beziehungen eine gewisse Menge von 5 Sorten Tabaksamen aus verschiedenen Tabakplantagen zu beschaffen. Im Februar 1828 kam von Freiherr Maltitz die Nachricht, dass die Samen auf ein Schiff verladen wurden, dass nach England ablegte; Mitte März wurden fünf versiegelte Dosen vom Londoner Zollamt freigegeben. Vater Jakow schrieb in einem Brief vom 15./27. März, dass der Durchlauchtigste Fürst Lieven (Cristoph Heinrich von Lieven, 1774-1838, russischer Botschafter in London) anwies, die Samen nach Sankt Petersburg mit einem Eilboten zu schicken, um noch im selben Jahr aussähen zu können.

Den Kostenaufwand für den Erwerb der Samen (14 Pfund Sterling = 350 Assignationsrubel) übernahm die Kaiserliche Moskauer Landwirtschaftlichen Gesellschaft. Die erste Lieferung wurde am 26. April fünf verschiedenen Empfängern in den südlichen Gouvernements zugestellt. Saratow erhielt je 30 Solotnik [russische Gewichtseinheit, 1 Solotnik = 1/96 Pfund (russisch) = 4,265 Gramm] der Sorten Nr. 1 und Nr. 2, je 20 Solotnik der Sorten Nr. 3 und Nr. 4 und nur 7 Solotnik der Sorte Nr. 5 – Virginia von Herrn Chevalier. Die Saratower Kolonien gingen jedoch leer aus, denn der Gouverneur geruhte die Hälfte der Samen Sarepta zu geben und bot die andere Hälfte den Herren Adelsmarschällen der Ujesde [Ujesd war im Russischen Reich eine Unterteilung des Gouvernements. Das Gouvernement Saratow bestand aus 10 Ujesden] an. Die Herren Adelsmarschälle der Ujesde verzichteten zum Glück ausnahmslos auf dieses Geschenkt, da sie die Sache für zu beschwerlich hielten (denn über das Ergebnis sollte Rechenschaft abgelegt werden). Dann erst ordnete der Gouverneur an, die von den Saratower Adligen nicht abgenommenen Samen an den Oberrichter des Kontors für ausländische Ansiedler zwecks Verteilung an die zuverlässigsten Tabakpflanzer zu übergeben. Die Saratower Kolonisten befanden sich auf diese Weise in der ungünstigen Lage und die Zeit für Aussaat war fast verstrichen. Außerdem schlug der Hagel einen Teil der Saaten nieder.

Es verging jedoch ein Jahr und Fürst A.B. Golizyn schrieb am 18. November an die MLWG, dass die Kolonisten 80 Pud Tabak ernteten und ausreichend Saatgut für die nächste Aussaat erhalten wurde. Der Oberrichter des Kontors schickte 15 Pud (drei Pud von jeder Sorte) an den Gouverneur zur Weitergabe an die MLWG als Rechenschaftsbericht über die durchgeführte Arbeit. Der Fürst approbierte die Ernte und fand, dass der in den Kolonien gezüchtete Tabak „keinesfalls dem echten nachsteht“, womit er den echten amerikanischen Tabak aus Amerika meinte. Der Fürst berichtete überdies, dass „der berühmte Reisende Freiherr von Humbold ihn (den Tabak) vollends gut hieß“. In der Tat besuchte Alexander von Humboldt 1829 Saratow zum Abschluss seiner Russlandreise – er war, wie sich herausstellte, derjenige, der beim Gouverneur zu Gast war! Golizyn schließt den Brief mit der dringenden Bitte, eine Anleitung für den Anbau und die Bearbeitung von amerikanischem Tabak, nach Möglichkeit in deutscher Sprache, zu schicken. Die Bitte wurde erfüllt und die MLWG schickte 1830 zwei Bücher deutscher Autoren.

Und was war mit Sarepta? Zuerst kam von dort ein umfangreicher Brief über die Schwierigkeiten beim Anbau dieser Sorten unter lokalen Bedingungen und die Vorteilhaftigkeit eines Anbaus in der Krimhalbinsel (wohin, nebenbei gesagt, auch Samen geschickt wurden). 1830 schickte Sarepta schließlich 10 Pfund aus seiner vermutlich nicht besonders ergiebigen Ernte.

Die Saratower Kolonisten präsentierten auf solche Weise als erste der Kaiserlichen Landwirtschaftlichen Gesellschaft die gewichtigen Früchte ihrer Arbeit. Die Namen unserer Helden wurden im Briefwechsel leider nicht erwähnt, aber wir können davon ausgehen, dass die Gründer der Fabrik Stahf dazu gehörten. Es ist kein Zufall, dass die Familienüberlieferung über die geringe Anzahl der Samen und die Arbeit, die Konrad für den Anbau der Sämlinge aufwendete, berichtet. Jetzt hat alles seinen Platz gefunden: die Brüder Stahf fassten den Entschluss eine Tabakfabrik zu gründen nicht bevor sie die Samen aus Amerika erhielten sondern danach. Genauer gesagt – gleichzeitig. Im Sommer 1828 begannen sie mit dem Anbau der amerikanischen Sorten, fuhren nach Petersburg und vereinbarten die Lieferung der Fabrikanlage und eröffneten im Dezember die Fabrik. Über Mut und Unternehmergeist unserer Vorfahren kann man nur staunen.

Die MLWG richtete 1832 an das Finanzministerium eine Anfrage über die Möglichkeit der Zuteilung von 5000 Assignationsrubel für die Förderung der Tabakzüchter sowohl mit Ehrenmedaillen wie auch mit Geldprämien (ф. 419, оп. 1, д. 160 [Bestand 419, Liste 1, Akte 160]). Das Projekt wurde im nächsten Jahr 1833 gebilligt und die Gesellschaft beschließt im Dezember 1834, die besten Tabakzüchter zu prämieren. Solche Angelegenheiten wurden damals ohne Eile geregelt… Der Präsident der MLWG Fürst D.V. Golizyn schickte im Mai 1835 einen Brief „an den Saratower Kaufmann Kondratij Nikolajewitsch Stahf“ und teil ihm mit, dass er mit einer Silbermedaille, „die hierbei übersendet wird“ ausgezeichnet wurde (л. [Zettel] 20). Die Auszeichnung fand ihren Helden.

K. Stahf wurde, wie sein Enkel, der Autor der schon erwähnten Broschüre schreibt, mit der Medaille für die Qualität der Tabakwaren seiner Fabrik ausgezeichnet. Davor wurde ihm auf Allerhöchstes Belieben eine Goldmedaille mit der Inschrift „Für Nützliches“ [2], verbunden mit dem Recht, sie an einem Ordensband des Ordens der Heiligen Anna zu tragen, verliehen. Wie uns I.A. Sabelfeld mitteilte, befindet sich im Bestand des Ersten Departement des Ministeriums für Staatseigentum im Russischen Staatlichen Archiv (Sankt Petersburg) die Akte [дело] 1118 „Auf Vorschlag des Kontors der Saratower ausländischen Siedler über die Auszeichnung des Kolonisten der Kolonie Katherinenstadt des Saratower Kaufmanns der 3. Gilde K. Stahf für Erfolge in der Zucht und Verarbeitung des mit Unterstützung der Moskauer Landwirtschaftlichen Gesellschaft in Philadelphia und Washington bestellten amerikanischen Tabaks“. Die Stahfs wurden darüber hinaus im 19 Jh. noch dreimal mit Silbermedaillen und einmal mit einer Goldmedaille ausgezeichnet.

Konrad Stahf war nicht der einzige Pionier des Anbaus von amerikanischen Tabaksorten. 1837 erhielt z.B. der Saratower Kaufmann Karl Witmann, Besitzer einer Baumwollfabrik und einer Tabakfabrik eine Silbermedaille der MLWG. Im selben Jahr wurden Tabakpflanzer aus dem Taurischen Gouvernement (mit typisch deutschen Namen) ausgezeichnet. Die Stahfs hatten jedoch nicht nur in der Tabakzucht, sondern auch bei der allgemeinen Einführung fortschrittlicher Methoden in der Tabakkultivierung sowie bei der Herstellung von Tabakwaren große Verdienste erworben. Deswegen vermutlich schrieb man im 20 Jahrhundert, als die Tabakfabrikanten Stahf nur noch zur Geschichte gehörten, über sie folgendes:

„Der hiesige Tabaksbau wurde einigermaßen beeinflusst und unterstützt vom Departement für Landwirtschaft, von der Freiwilligen Ökonomischen Gesellschaft, vom Saratower Kontor der ausländischen Ansiedler und von einigen Privatpersonen, von denen in erster Reihe der Saratower Kaufmann Staff genannt werden muss…. Endlich verbreitete Staff unter den Kolonisten Samen des Maryländer Tabaks und erteilte die nötige Instruktionen, wie diese Tabaksorte behandelt werden muss. Der Einfluß Staffs auf die Verbreitung der Tabakbaues war ziemlich stark. Seine fachkundige und aktive Propaganda für diesen Landwirtschaftszweig, sein in großem betriebenen Handel mit örtlichen Tabaksorten und die Einführung der fabrikmäßigen Bearbeitung des Tabaks in Saratow übten einen großen und sehr günstigen Einfluss auf die Entwicklung des Tabaksbaues im Unteren Wolgagebiet, richtiger unter den Wolgakolonisten“ (W. Sjurjutin. Der Tabakanbau in den deutschen Wolgakolonien. In: Unsere Wirtschaft, 1924).

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Foto freundlicherweise zur Verfügung gestellt von A. Idt

 

Zur gegenwärtigen Tabakfabrik gehört ein ihrer Geschichte gewidmetes Memorialmuseum. N.N. Gusewa-Schmidt, die dort vor kurzem weilte, übergab uns freundlicherweise die von ihr gemachten Fotos der Exposition des Museums:

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Gesamtansicht. Einrichtung Ende 19 Jh.— Anfang 20 Jh

 

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Schautafel mit Portraits der Stahfs

 

Links unten – Foto von Jürgen Stahf (s. http://www.rauschenbach.ru/de/johann-peter-stahf-und-seine-nachfahren und http://www.rauschenbach.ru/de/die-geschichte-der-familie-stahf-bis-zum-jahr-2016), der die Fabrik im Jahre 2001 besuchte. Oben Mitte – Foto des Portraits von Michael Stahf, das Original befindet sich in Jürgens Haus:

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Michael Stahf (1796-1864)

Rechts von ihm – eine Portraitaufnahme des letzten Fabrikbesitzers in der Familie Stahf, Karl August Konrad junior:

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Kondratij Alexandrowitsch Stahf (1871-1925)

 

Wir möchten uns bei allen bedanken, die mit Unterlagen, Fotos und Rat bei dieser Erhebung halfen. Wir hoffen, dass die Sammlung von Zeugnissen und Unterlagen über die Geschichte der Fabrik Stahf und deren Eigentümer in Zukunft ergänzt werden wird. Kehren wir jetzt zu dem zurück, womit wir angefangen haben, zu den Legenden! Wahrlich, es gibt kein Rauch ohne Feuer, in jeder Legende steckt ein Quäntchen echte Geschichte. Die Husaren, die Golizyns, den vornehmen Gast des Gouverneurs, den Botschafter in Amerika, den Kurier des Zaren, das Paket mit den Samen und sogar die Anleitung für den Tabakanbau – das alles gab es wirklich! Etwas anderes ist, dass die Tatsachen chronologisch eine Kleinigkeit verschoben und durcheinander gebracht wurden. Auch jetzt, wo die authentische Geschichte wiederhergestellt worden ist, werden wir die Legenden für uns zur Erinnerungen und für die Nachwelt zur Belehrung bewahren.

 

Anmerkungen

[1] Johann Georg Friedrich Franz Freiherr v. Maltitz (1794-1857) diente in den diplomatischen Missionen des russischen Kaiserhauses in Karlsruhe, Stuttgart, Berlin, London und von 1821 bis 1827 in Washington. .

[2] Jetzt würde man wahrscheinlich „Rauchen tötet“ schreiben. Konrad und Michael haben übrigens nicht geraucht.

 

07.03.2017